Interview mit Jörg Wegener

Eine Kannibalisierung des Systems

Personalentwicklung

Von KlinikRente — 02.01.2019

Eine Kannibalisierung des Systems

Interview mit Jörg Wegener, Geschäftsführer des St. Franziskus-Hospitals Köln

Die Einführung von Personaluntergrenzen bedeutet für viele Krankenhäuser einen hohen Mehraufwand. Jörg Wegener, Geschäftsführer des St.-Franziskus-Hospitals Köln, fordert von der Politik mehr Zeit für die Umsetzung der neuen Untergrenzen. Für Ihn steht der Umgang mit den Mitarbeitern im Mittelpunkt.

Ein Krankenhaus optimal zu organisieren ist aufwendig. Wie sorgt man dafür, dass sich Ärzte, Pfleger und vor allem die Patienten wohlfühlen?

An erster Stelle steht für mich ein positives Betriebsklima, ein freundliches und dem Patienten zugewandtes Miteinander. Das spüren der Patient und seine Angehörigen und er fühlt sich entsprechend gut aufgehoben. Dazu tragen neben dem wertschätzenden Umgang mit den Mitarbeitern auch die Förderung der beruflichen Weiterentwicklung durch Fortbildungsmaßnahmen und die Berücksichtigung von persönlichen Lebensweisen bei. Weitere entscheidende Faktoren für ein positives Betriebsklima sind Transparenz, Verbindlichkeit und Ehrlichkeit. Man kann durchaus auch schlechte Botschaften als Führungskraft kommunizieren. Die Mitarbeiter ziehen trotzdem mit und wissen das zu schätzen, wenn sie merken, dass man es mit ihnen ehrlich meint und man sich auf sie als Führungskraft verlassen kann. Außerdem müssen die Betriebsabläufe aufeinander abgestimmt und eingespielt sein. Der Patient nimmt sehr genau wahr, wenn die rechte Hand nicht weiß, was die linke tut. Ebenfalls wichtig sind Unterbringung, Komfort und Sicherheit sowie Hygiene. Im St.-Franziskus-Hospital führen wir regelmäßig sogenannte SOS-Rundgänge durch. Dabei achten wir gezielt auf Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit. Diese Rundgänge werden unter anderem von mir persönlich als Geschäftsführer alle 14 Tage mit einem festen Team begleitet.

Sie waren selbst vor Ihrem Studium als Fachkrankenpfleger tätig. Wie hilft Ihnen Ihre berufliche Erfahrung bei der Leitung des St.-Franziskus-Hospitals?

Meine eigene Erfahrung hilft mir sehr, da ich durch meine langjährige Tätigkeit als Krankenpfleger sämtliche Prozesse und Themenfelder eines Krankenhauses kenne und natürlich auch die Knackpunkte, auf die man als Klinikleitung ein besonderes Augenmerk legen sollte. Mir macht man nicht so leicht ein X für ein U vor. Ganz entscheidend ist die Art und Weise der Kommunikation. Durch meine langjährige Sozialisation im Krankenhaus weiß ich, wie ich welche Dienst- und Hierarchieebene erreichen kann. Man sollte schon ein Menschenfreund sein und sich nicht nur in sein Büro zurückziehen. Ich bin gerne bei meinen Mitarbeitern im Hause unterwegs. Dabei sehe und höre ich mit offenen Augen und Ohren wesentlich mehr, als mir zum Teil in meiner Verwaltungsetage gefiltert zugetragen wird. Aus dem direkten Gespräch mit der Reinigungskraft, der Stationshilfe, dem Haustechniker oder auch dem Assistenzarzt erfährt man wesentlich schneller, wo es Probleme gibt und wie man als Klinikleitung entsprechend reagieren muss.

Glauben Sie, dass jede Führungskraft eines Krankenhauses einmal auf einer Station gearbeitet haben sollte, um die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter besser zu verstehen?

Es schadet nicht, dass die Geschäftsleitung und die weitere Verwaltungsspitze eines Krankenhauses ihr Haus auch abseits der Räumlichkeiten des Verwaltungstrakts besser kennen. Dazu kann durchaus auch einmal im Jahr eine Mitarbeit auf einer Station oder einer Ambulanz gehören. Doch der Krankenhausbetrieb besteht ja nicht nur aus dem Pflegebereich, sondern auch aus vielen weiteren Berufsgruppen. Auch deren Belange müssen mit der gesamten Institution Krankenhaus in Einklang gebracht werden. Als Leitung eines Krankenhauses ist es von Vorteil, wenn man diese Bereiche, wie zum Beispiel die Haustechnik, die Speisenversorgung, das Labor und andere Abteilungen kennt. So lasse ich zum Beispiel unsere BWL-Studenten in ihrem Praxissemester für gut vier Wochen durch alle Bereiche, vom Dachboden bis zum Keller, rotieren und dabei sämtliche Abteilungen kennenlernen. Dabei lernen die Studenten dann, dass die Bettenzentrale und der Haustechniker wie auch der Müllentsorger ein genauso wichtiges Rädchen im Betrieb eines Krankenhauses sind wie der Chefarzt oder die Stationsleitung.

Interview mit Jörg Wegener

Ab 2019 soll es Personaluntergrenzen in vier pflegeintensiven Bereichen geben. Sehen Sie persönlich Untergrenzen als den richtigen Weg?

Es ist vielmehr ein der Not folgender Weg. Er war leider vorhersehbar. In den vergangenen Jahren haben viele Einrichtungen zugunsten ihrer Rendite die Pflegestellen reduziert, während immer mehr Patienten mit kürzeren Aufenthalten dazu kamen. Jetzt rächt sich dieser Weg durch die Unbeliebtheit des Pflegeberufes, eine zunehmende Flucht aus dem Beruf heraus oder in Alternativen wie den Einsatz als Leih- oder Honorarpflegekraft. Zugleich steigt in vielen Einrichtungen der Krankenstand durch die hohe Dauerbelastung, welcher die verbleibenden Pflegekräfte ausgesetzt sind. Die politische Reaktion, hier nun Personaluntergrenzen für Pflegekräfte durchzusetzen, stellt das gesamte Gesundheitssystem unseres Landes meines Erachtens auf den Kopf. Es gibt die benötigten Pflegekräfte zum einen gar nicht, zum anderen ist auch die Methode der Personalbemessung schwierig, wenn nicht sogar einem subjektiven Empfinden ausgesetzt. Die Quantität der Pflegekräfte entspricht bei Weitem nicht der Qualität. Zwei sehr erfahrene Pflegekräfte, die schon lange Jahre eine Station führen, dürften erfahrungsgemäß so effektiv wie vier frisch examinierte Pflegekräfte sein. An dieser Stelle sehe ich einen Bruch bei der Vorgabe der zu erfüllenden Quoten. Zudem führen die Mindestbesetzungsquoten zu einer Kannibalisierung unseres Systems. Ich habe hier Sorge, dass vor allem die tendenziell geringer entlohnte Altenhilfe in unserem Land zunehmend zugunsten einer Verlagerung der Pflegekräfte in die Krankenhäuser hinein ausbluten wird. Wir verzeichnen in den Kliniken gegenwärtig schon eine Zunahme an Bewerbungen von examinierten Altenpflegern. Aus meiner Sicht obliegt es der Politik, die Attraktivität des Pflegeberufes unter anderem durch Tarifsteigerungen zu stärken. Derzeit kompensieren die Kliniken aus lauter Not die nicht ausreichend refinanzierten jährlichen Kostensteigerungen und Investitionen durch eine Leistungssteigerung beziehungsweise eine Reduktion der Personaldecke sowie die Verlagerung einzelner Leistungsteile in außertarifliche Bereiche.

Wie wollen sie die neuen Untergrenzen im St.-Franziskus-Hospital umsetzen?

In meiner Klinik, die zu einem starken konfessionellen Verbund in Köln gehört, sind wir gerade aktiv dabei, uns mit der Umsetzung der Untergrenzen zu beschäftigen. Im Intensivbereich habe ich sie bereits seit letztem Jahr auf freiwilliger Basis erfüllt. Im leer gefegten Kölner Markt an Pflegekräften sind die Bewerber nun mal wählerisch und Sie erhalten nur noch neue Mitarbeiter, wenn Sie einen angemessenen Pflegeschlüssel vorhalten. Dieser liegt in unserem Intensivtherapiebereich bereits jetzt schon bei eins zu zwei. Wir haben ihn im letzten Jahr bewusst von eins zu drei auf eins zu zwei im Tagdienst umgestellt, um unsere zahlreichen neu einzuarbeitenden Mitarbeiter nicht zu überfordern und zugleich langfristig eine Arbeitszufriedenheit und damit den Verbleib der Pflegenden in unserem Hause zu erreichen.

Sie haben gerade von der fehlenden Attraktivität des Pflegeberufs gesprochen. Was müsste neben monetären Anreizen noch gegeben sein, um den Beruf attraktiver zu machen?

Zu den Faktoren, die den Beruf attraktiver machen würden, zählen unter anderem der gesellschaftliche Wert, die gesellschaftliche Anerkennung und das Ankommen auch akademisch ausgebildeter Pflegekräfte. Inklusive auch einer angemessenen Vergütung, was bis heute noch nicht immer der Fall ist. Die Reaktion auf Arbeitszeitmodelle, was eine Veränderung der Prozesse in den Krankenhäusern mit sich bringt, ist aus meiner Sicht ebenfalls ein entscheidender Punkt. Auch Pflegekräften, die zum Beispiel aus dem aktiven Berufsleben zur Versorgung von Familie oder auch zur Pflege von Angehörigen ausgeschieden sind, sollte man eine Möglichkeit bieten, weiterhin ihren Beruf ausüben zu können.

Was kann gegen die Befürchtung getan werden, dass Stationen ohne Untergrenze durch die neue Regelung leiden und mit weniger Personal besetzt werden als vorher?

Die Befürchtung wird aus meiner Sicht in den allermeisten Einrichtungen des Landes eine Wirklichkeit, da die Pflegekräfte schlichtweg nicht da sind. Ehe sich ein Krankenhaus Strafzahlungen oder Abschlägen von seiner Vergütung ausgesetzt sieht, wird es sicherlich die eine oder andere kreative Lösung geben, die dann zulasten der Pflegenden auf den nicht von den Untergrenzen betroffenen Bereichen gehen. Dies könnte auch innerhalb der Belegschaft zu Missstimmung führen, auf die wir uns als Führungskräfte rechtzeitig einstellen sollten. Ich rechne damit, dass sich aber auch etliche Krankenhäuser aus bestimmten Leistungsfeldern, wie zum Beispiel der Geriatrie, perspektivisch verabschieden werden, da zum Beispiel dieser Bereich zusätzlich auch noch durch die aktuelle BSG-Rechtsprechung belastet ist. Aus meiner Sicht lässt sich gegenwärtig bei der angespannten Personalsituation nicht vermeiden, dass die Bereiche die Zeche zahlen, auf denen die Untergrenzen noch nicht gelten. Der Aufbau der zusätzlich benötigten Pflegekräfte durch eigene Ausbildungsgänge benötigt mindestens drei Jahre. Hier muss zudem der Pflegeberuf gesellschaftlich attraktiver werden. Kurzfristig kann meines Erachtens die Rekrutierung ausländischer Pflegekräfte für eine Linderung sorgen, sowie in gewissem Maße auch der Einsatz von Leihpflegekräften über entsprechende Arbeitnehmerüberlassungsagenturen.

Und was müsste Ihrer Meinung nach von der Politik getan werden, um Untergrenzen in Kliniken zu ermöglichen?

Die Politik muss uns Kliniken ganz klar mehr Zeit für die adäquate Umsetzung lassen und auch für eine angemessene Finanzierung der zusätzlichen Pflegekräfte und der zusätzlich benötigten Ausbildungsplätze sorgen. Es kann nicht sein, dass in den Budgetverhandlungen mit den Kostenträgern immer wieder vor allem das Ausbildungsbudget letzten Endes zugunsten der übrigen Einigung hinten rüber fällt und die Kliniken damit letztendlich auf einem Großteil der Kosten der Ausbildung sitzen bleiben. Wir brauchen eine Konvergenzphase, um Zeit zur Vorbereitung der Bereitstellung der benötigten Personalressourcen zu erhalten. Vor allem in Bezug auf die Anerkennung ausländischer Berufsausbildungen besteht noch dringender Handlungsbedarf. Wir erhalten vielfach exzellent ausgebildetes Pflegepersonal mit zum Teil vierjähriger dualer Hochschulausbildung aus dem europäischen Ausland. Und der sofortige Einsatz als examinierte Pflegekräfte scheitert an den langwierigen Nachqualifizierungsauflagen der jeweiligen Ausbildungsgesetze auf unseren Länderebenen. Allem voran steht für mich jedoch auch die durchdachte Planung und Strategie, die die Politik mit unserem Gesundheitswesen verfolgt. Die gegenwärtigen Bemühungen zur Verbesserung der pflegerischen Situation in unseren Krankenhäusern gehen aus meiner Sicht zulasten der Alten- und Pflegeheime sowie der gegenwärtig noch nicht von den Untergrenzen betroffenen Bereiche. Für mich sieht das nach einem gewissen Aktionismus aus, der nicht richtig zu Ende gedacht ist. Er charakterisiert leider die auf allen Ebenen derzeit praktizierte Politik unserer Regierungskoalition.

Jörg Wegener ist Geschäftsführer des St.-Franziskus-Hospitals in Köln. Der Diplom-Kaufmann war vor seinem Studium mehrere Jahre als Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege sowie Dozent an der Fort- und Weiterbildungsstätte in den Münchner Universitätskliniken tätig.

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